JULIA MÜLLER | Sudden Death
Eröffnung: Freitag, 31. Mai 2013, 19.00 Uhr
Ausstellung: 1. bis 29. Juni 2013
Künstlergespräch mit Tina Bara, Professorin für Fotografie an der HGB Leipzig, 30. Juni 2013, 19.00 Uhr
Ich liebe Dich, ich hasse Dich, ich freu mich so, ich glaub ich sterbe: selten schwanken unsere Gefühle so extrem wie während der Teenagerjahre. Die Neuentdeckung des eigenen Ichs rückt dieses ganz groß ins Zentrum. Eltern und Lehrer werden zu Zaungästen, unscharf an den Rändern der Wahrnehmung sich aufhaltend. Alles passiert zum ersten Mal. Alles. Und es ist immer total und absolut.
Zu allem kommt ein Gefühl der Einzigartigkeit und des Unverstandenseins. Das macht einsam, aber auch überlegen und stark. Zu stark für die Enge der Provinz. Es ist die Zeit der Partys in den Häusern und Wohnzimmern der anderen Eltern - hoffentlich kommen die auch wirklich erst Sonntag wieder - und die der Ausbruchsversuche, an deren Folgen man sich am nächsten Morgen gar nicht mehr erinnern möchte. Und am Montag in Mathe reicht die Freundin einen Zettel rüber um alles noch einmal genau zu bereden.
Diese, in endlosen zwischen den Wochenenden liegenden Schulstunden verhandelten, elementaren Nichtigkeiten, dialogisch notiert auf hin- und hergereichten Zetteln: Julia Müller hat sie, aus einem früh erwachten Sammlerinstinkt heraus, aufbewahrt. Und schon damals war die Kamera stets dabei. Julia Müller hielt drauf, wenn es spannend wurde: mit schlechter Optik, wackeliger Hand und fiesem Blitz.1999 entdeckte Müller die in Schuhkartons auf dem Dachboden des Elternhauses eingelagerten Schätze wieder. Im Fotografie-Studium in Leipzig entstand die Idee, Zettelnachrichten und Knipserfotos in einem Künstlerbuch zusammenzubringen.
Mit gebastelten Aufsichtsvorlagen, die in einem studentischen Copyshop schlichtweg auf Größe gebracht und farbkopiert wurden, realisierte Julia Müller das Künstlerbuch Sudden Death: das rotzig-punkige und dichte Portrait einer Jugend auf dem Land in den frühen 90er Jahren. Nun hat sie, 15 Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe und mit gereiftem Blick, das Buch neu arrangiert. Anderes ist in den Mittelpunkt gerückt, Erinnerungen haben sich verschoben und vermischt mit Nostalgie. Nostalgie nicht nur für eine Zeit im Leben, sondern auch für den handschriftlichen Zettel und den analogen Schnappschuss, der als 9x13cm Papierabzug aus dem Drogeriemarkt kam. Nostalgie auch für eine Zeit ohne Handys, Facebook und Youtube.
Die Unbeschwertheit und der Liebeskummer, die Lebensfreude und der Weltschmerz, die Größe der Empfindungen, die peinlichen Momente und die Abwesenheit der ahnungslosen Eltern im Mikrokosmos Pubertät. Sudden Death zeigt all dies mit einer sehr berührenden Echtheit. Das Buch offenbart nicht nur die sehr persönliche Geschichte der Schülerin Julia Müller, es öffnet sich auch einem universellen Blick auf die altbekannten, immer gleich bleibenden Themen und Probleme der Jugend. Oder vielleicht auch nicht? Dann vergess es, es ist eh alles ganz anders.